Aus dem Schacharchiv von Chess-Results.com: Artikel: 4257 vom 04.12.2004, Kategorie Kolumne
Schach ist Sport!
Fast 20 Jahre sind vergangen, seit der Präsident des
österreichischen Schachbundes (ÖSB) Prof. Kurt Jungwirt den ersten Antrag um
Aufnahme als ordentliches Mitglied in die Bundessportorganisation (BSO) stellte.
Es erforderte viele Gespräche, Diskussionen, Überzeugungsarbeit und Geduld,
bis es am 13. November 2004, nach einer Änderung der Statuten der BSO und einer
Erhöhung der Bundessportförderung durch die Regierung, soweit war. Beim BSO -
Fachrat am 12. November und der BSO - Bundessportversammlung am 13. November
sind die endgültigen Beschlüsse gefallen und der ÖSB ist ab sofort
ordentliches Mitglied.
Dabei erfüllte Schach längst alle Voraussetzungen. In 6 von
9 Bundesländern war Schach bereits als Sport anerkannt und aufgenommen. Wien,
Niederösterreich und Tirol werden nun nachziehen. Mit der offiziellen
Anerkennung von Schach als Sport in Österreich wird nicht nur ein weißer Fleck
in der europäischen Landkarte geschlossen, denn in allen Nachbarländern ist
Schach längst Mitglied der jeweiligen Sportorganisation, sondern auch der
Startschuss für die Erschließung neuer Möglichkeiten. Zwar wird kein
Geldregen über Schach hereinbrechen, aber es wird am ÖSB und den Funktionären
liegen, den leichteren Zugang zu Förderungen als Rückenwind für einen
Aufschwung zu nützen. Neben finanziellen Gesichtspunkten geht es aber auch um
eine angemessene Berichterstattung in den Medien. Vom ORF wird Schach praktisch
negiert. Kein Wunder! Schließlich fühlt sich kein Ressort zuständig. Schach
passt nicht zur Kunst (obwohl manche Schachpartien mit Kunstwerken vergleichbar
sind), nicht zur Wissenschaft, nicht zum Sport (zumindest bis jetzt) und auch
nicht so richtig in die Nachrichten. Hoffentlich wird jetzt alles besser.
Schach hat mit dem ÖSB einen organisierten Verband mit
zahlreichen Meisterschaften (Einzel, Mannschaften) und internationalen
Beschickungen - wie zuletzt der Schach-Olympiade in Calvia mit 130 teilnehmenden
Föderationen oder der letzten Samstag zu Ende gegangenen
Jugend-Weltmeisterschaft auf Kreta, wo übrigens der Steirer Markus Ragger den
ausgezeichneten 8. Rang bei 122 Teilnehmern belegte - sowie einer eigenen
Trainerausbildung. Der ÖSB ist Mitglied des Weltschachbundes (FIDE) und des
Europäischen Schachbundes (ECU).
Was ist eigentlich Sport?
Der Begriff des „Sports“ ist selbst unter
Sportwissenschaftlern nicht unumstritten. Trotzdem können einige Merkmale
aufgeführt werden, die allen Sportarten gemeinsam sind. In der folgenden Liste
sind diese Merkmale in willkürlicher Reihenfolge aufgeführt. Keines dieses
Merkmale kann für sich allein in Anspruch nehmen, das „Wesen“ des Sports
auszumachen. Erst zusammengenommen werden sie der Vielschichtigkeit des
Phänomens „Sport“ einigermaßen gerecht.
- Spielcharakter des Sports
- Orientierung am Leistungsprinzip
- Regelgebundenheit
- Wettkampfform
- körperliche Betätigung
- Zweckfreiheit der Tätigkeit, d.h. Ausführung der Tätigkeiten um ihrer selbst willen
- Gebundenheit des Sports an bestimmte Organisationsformen (Vereine, Verbände)
- Internationalität des Sports
- prinzipielle Zugänglichkeit des Sports für alle Menschen
Über diese Merkmale des Sports hinausgehend werden direkte - und zwar positive - Auswirkungen des Sports auf diejenigen Personen erwartet, die sich sportlich
betätigen.
Eine Übersicht über die sportpsychologische Literatur
zeigt, dass sich Sportler in einer ganzen Reihe von wünschenswerten
Eigenschaften von Nichtsportlern unterscheiden. Dazu gehören:
- größere Ausdauer
- höhere Belastbarkeit
- größere allgemeine Aktivität
- höhere allgemeine Leistungsmotive
- geringere Ängstlichkeit, Erwerb von Selbstbewusstsein
- Möglichkeit zum Stressabbau
- größere Toleranz, Fairness
- positivere soziale Einstellung
- Fähigkeit zur Selbstkritik
- Kanalisierung der Aggressivität
Zusammenfassend kann man also festhalten, dass Sport durch
eine Vielzahl von Merkmalen gekennzeichnet ist und dass von sportlicher
Betätigung eine ganze Reihe positiver Effekte zu erwarten ist. Alle diese
typischen Sportmerkmale gelten nicht zuletzt für Schach.
GM Ilia Balinov / Heinz Herzog